Diese Solidaritätserklärung der Wagentage wurde ursprüngliche auf Indymedia veröffentlicht. Wir haben uns entschieden sie auch auf unseren Blog zu stellen, weil wir eine dringende Notwendigkeit für mehr Räume alternativen und kollektiven Zusammenlebens, für Klimagerechtigkeit und die Abschaffung des Kapitalismus sehen.
„Unser Haus brennt!“ – so beschreiben Klimaaktivist*innen den derzeitigen Zustand unseres Planeten. Und das finden auch wir! Am 20.09., dem Tag des Climate Strike, werden Alle, ALLE aufgefordert für das Klima zu streiken – und diesem Ruf folgen wir, und solidarisieren uns als Wagentage Berlin mit der Klimabewegung.
Wie genau?
Die Klimabewegung fordert einen Ausstieg aus dem Zeitalter der fossilen Brennstoffe. Das finden wir gut: Wagenplätze praktizieren seit jeher einen nachhaltigen Umgang mit wenig Ressourcen – nicht nur, dass die Wägen mehr stehen als fahren; auch das Leben mit wenig Platz, wenig Strom und Wasser und ein wenig Feuer im Winter macht das Leben auf dem Wagenplatz zu einem ökologisch nachhaltigen Lebensentwurf.
Der Climate Strike will den Umstieg auf 100% erneuerbare Energien – auch dem stimmen wir zu. Wir finden, dass Politik und Wirtschaft ungekannten Willen zeigen müssen um sofort aus fossilen Brennstoffen auszusteigen. Unseren Teil tragen wir dazu bei, in dem wir den wenigen Strom den wir nutzen aus Solaranlagen gewinnen. Auch wenn wir jetzt mit Diesel fahren, sind wir sofort dabei, sobald es bezahlbare Alternativen gibt.
Der Climate Strike fordert des Weiteren Klimagerechtigkeit, dass also Industrienationen zur Verantwortung gezogen werden, für jetzige und zukünftige Schäden, die in anderen Regionen verursacht werden. Der Gedanke dahinter ist: wir müssen loskommen von unserem egoistischen und individualisierten Denken. Wir müssen uns wieder als Kollektiv verstehen, und als kollektive Menschheit jetzt richtig handeln. Dieses Denken wird in Kollektiven wie Wagengruppen probiert zu praktizieren: wir leben in Gruppen anstatt in Isolation, und richten uns nach den Bedürfnissen aller.
Des Weiteren ist eine zentrale Forderung von Klimaaktivist*innen „System Change not Climate Change“: Die bittere Erkenntnis ist, dass unser aufgeheizter Planet schon jetzt Millionen Wesen Schaden zufügt. Was nötig ist, ist ein radikaler Wandel in Richtung Nachhaltigkeit und ein Ausstieg aus dem Konsumdenken. Dies muss eine radikale Kapitalismuskritik beinhalten: ein System, das auf Wachstum basiert, kann unmöglich einer Welt mit endlichen Ressourcen gerecht werden. Auch wir als Wagengruppen handeln antikapitalistisch: wir wehren uns gegen das Prinzip Besitz und Privateigentum, zudem sind wir konsumkritisch und wissen, das der Kapitalismus keine Zukunft hat.
Wir müssen jetzt handeln! Deshalb solidarisieren wir uns heute, drei Tage vor dem UN-Gipfel gegen den Klimanotstand, mit dem Climate Strike! Die Klimakrise wartet nicht und kennt keine Nationalgrenzen- wir auch nicht!
Dass ausgerechnet am Tag des Global Climate Strike eine Gruppe alter Dieselfahrzeuge im Rahmen der Wagentage durch die Stadt fährt und sich solidarisiert, scheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Warum es das nicht ist, sondern sogar als ein Beitrag zur Klimagerechtigkeitsbewegung und den Aktionen des Tages verstanden werden sollte erklären wir im Folgenden.
Warum wir diese alten Karren fahren?
Als Erstes zu den typischen Argumenten und Mythen, die sich vielleicht in den Kopf schleichen… Sind diese Karren nicht voll die Umweltsünder?
Warum wir immer noch diese alten Autos verwenden: Viele dieser Autos sind sehr alt und sind gebaut worden um lange zu halten – und nicht um alle paar Jahre durch ein neues Modell ausgetauscht zu werden, um damit die Wirtschaft anzukurbeln. Sie wurden nicht erst neu produziert und haben dadurch auch nicht die immense Energie und CO2-Ausstöße der Produktion verursacht, die häufig bei der Emissionsrechnerei vergessen werden. Sie existieren bereits und werden nun weiterhin gepflegt und meist eigenständig von ihren Besitzer*innen repariert. Hier zeigt sich ein weiterer wichtiger Faktor: der „Low-Tech“ Aspekt alter Autos. Die Technologien sind viel D.I.Y.-freundlicher. Alte Autos können selber repariert werden, ohne den ganzen elektronischen Schnick-schnack, der das heutzutage unmöglich macht. Warum wird nicht von Politik und Industrie mehr in die Forschung von ökologischen, benutzer*innenfreundlichen Low-Tech Autos investiert?
…Und was die Automobilindustrie so macht
Außerdem: Wagenbewohner*innen würden sich ökologisch nachhaltigere Autos anschaffen, wenn es diese zu bezahlbaren Preisen geben würde. Hier ist die Autoindustrie mit ihren Politikverflechtungen zur Rechenschaft zu ziehen, denn sie befeuertheuchlerische Debatten um alte Dieselmotoren, welche in Wahrheit nur Wirtschaftsprogramme für Autoindustrie sind – Beispiel Abwrackprämie. Wäre der Autoindustrie an ökologischem Wandel gelegen, müsste sie sich eigentlich selbst abschaffen – oder zumindest würde sie den Umbau von alten Dieseln, oder neue ökologische Technologien fördern. Außerdem gibt es bereits nachhaltigere Technologien, die allerdings zurückgehalten werden, da sie keinen maximalen Profit für die Industrie versprechen.
Leben auf begrenztem Platz mit wenig Ressourcen
Hinzu kommt die Umstellung des Lebens und dem Umgang mit Ressourcen auf einem Wagenplatz. Durch den begrenzten Wohnraum findet eine bewusste Reduzierung von Eigentum und auch ein bewussterer Konsum von Ressourcen statt: Energie wird durch eine 12V Solaranlage gewonnen, Wasser muss mit einem Kanister geholt werden, gekocht wird mit Gas und geheizt mit Holzofen, Wagenplätze haben Öko-klos und Pflanzenkläranlagen und auch die Produktion und Entsorgung bzw. Verarbeitung des eigenen Mülls rücken auf einem Wagenplatz viel mehr ins Bewusstsein. Der eigenständige Aufbau einer niedrigschwelligen Infrastruktur schafft ein hohes Bewusstsein für Ressourcen.
Ältere Wagenplätze sind zudem über die Jahre zugewachsen und stellen kleine Biotope dar, sind unversiegelte Inseln in einer ansonsten zubetonierten Stadt. Viele nutzen erneuerbare Energien, manche Pflanzenkläranlagen, beherbergen größere oder kleinere Gärten für den Hausgebrauch. Wagenplätze sind damit Beispiele für klimafreundliche Alternativen zur aktuellen Stadtentwicklung, die auf totale Verdichtung setzt und somit allen Empfehlungen zu Stadtplanung in Zeiten des Klimawandels zuwiderläuft.
Orte des sozialen Wandels
Hinzu noch, dass historisch Wagenplätze häufig wichtige Orte für sozialer Bewegungen waren und ihnen wichtige Infrastruktur, Veranstaltungs- und Vernetzungsräume geboten haben. Das gilt natürlich auch für die Umweltbewegung. Mehr noch: Viele Ideen und Ansätze von erneuerbaren Energien und ökologischen Lebensweisen kommen ursprünglich aus der Besetzer*innenszene. besetzte Häuser, alternative Wohnprojekte und Wagenplätze waren immer Experimentierräume für ökologische Alternativen, haben wichtige Beiträge zur Entwicklung von erneuerbaren Energien und Technologien geleistet und haben definitiv wesentlich zur Verbreitung ökologischer Anliegen in der Gesellschaft beigetragen (und das schon seit vielen Jahrzehnten)!
Über sämtliche sozialen Aspekte der Wagenplätze und ihren Funktionen in den Kiezen, z.B. als Foodsharing-Verteiler, Repair-cafes, Küchen für alle, Stadtgärten etc. lässt sich noch Vieles schreiben, sprengt aber den Rahmen dieses Texts.
Wir hoffen, dass ihr seht: Wagenplatzkämpfe sind nicht von Umweltkämpfen isoliert und sollten zusammen gedacht werden! Lasst uns zusammen auf der Straße und in den Kämpfen stehen!
SYSTEM CHANGE NOT CLIMATE CHANGE – wir kämpfen heute gemeinsam, gegen den Kapitalismus und für das Klima, auf den Straßen, in den Wäldern, und auf den Plätzen in unserer Stadt!