#Weide63

#Weide63 in Solidarität mit der Liebig34 besetzt


Am 29. September haben wir im Friedrichshainer Nordkiez leerstehende Wohnungen der Unternehmensgruppe Padovicz besetzt. Diese Aktion schließt an Besetzungen im Frühjahr diesen Jahres an, die sich der Wohnungspolitik des Senats entgegenstellen. Es ist eine Solidaritätsaktion von #besetzen für das räumungsbedrohte Wohnprojekt Liebig34. Wir kämpfen für Wohnraum für alle und einen feministischen Kiez!

Vom Frühling zum Herbst der Besetzungen

Im Frühling 2018 gab es in Berlin und anderen Städten eine Reihe von Besetzungen. Wir schließen diesen Herbst an die bisherigen Aktionen an und stellen uns gegen die drohende Entmietung des Hausprojekts Liebig34. Die Notwendigkeit der praktischen Aneignung von Wohnraum ist aktuell wie immer. Obwohl es im Frühjahr unter den Nachbar*innen und in den Medien positive Resonanz auf die Besetzungen gab, wurden alle Besetzungen noch am gleichen Tag gewaltsam durch die Polizei geräumt. Aber wir sind wieder da und bleiben! Denn weiterhin gibt es über 30.000 wohnungslose Menschen in dieser Stadt, Mieten die sich niemand leisten kann, spekulativen Leerstand und täglich allein in Berlin bis zu 20 Zwangsräumungen, bei denen Menschen aus ihrem Zuhause geschmissen werden. Eine Zwangsräumung droht auch den Bewohner*innen des Hausprojekts Liebig34, welches sich in unmittelbarer Nähe zu dem von uns besetzten Weidenweg 63 befindet. Die einen sollen gehen, während ums Eck Wohnraum leersteht. Das kotzt uns an!

Wir wollen gemeinsam Widerstand leisten: Wir besetzen!

Hintergrund der Liebig34

Die Liebig34 wurde 1990 besetzt, ein Jahr danach legalisiert und 2008 vom grün regierten Bezirk an die Unternehmensgruppe Padovicz verkauft. Derzeit verweigert sich Padovicz jeglicher Gespräche und hat bereits Pläne zur Luxussanierung geäußert. Damit würden die in der Liebig34 wohnenden 40 Personen, der Infoladen „daneben“ und die „L34-Bar“ ihr Zuhause verlieren.

Öffentliche, unkommerzielle und selbstverwaltete Räume wie diese werden in Berlin zunehmend verdrängt. Durch die Räumung der Liebig34 würde der Nordkiez ein queer-feministisches Projekt verlieren. In der Liebig34 leben Menschen mit verschiedensten Hintergründen und (a-)Genderidentitäten zusammen. Die Liebig34 ist ein Hausprojekt ohne cis-Männer¹, um einen Wohn- und Schutzraum ohne Diskriminierung, Alltagssexismus und cis-männliches Dominanzverhalten zu schaffen. Die Liebig34 ist ein Ort, an dem kollektive Selbstverwaltung gelebt wird und von dem aus gegen Sexismus und Patriarchat gekämpft wird. Es ist ein Ort des Empowerments und der gegenseitigen Unterstützung.

Wir fordern die bedingungslose Übergabe der Liebig34 an das Kollektiv der dort wohnenden Menschen!

Die Wohnungsfrage aus queer-feministischer Perspektive

Aus einer queer-feministischen Perspektive werden die Probleme von Frauen, Lesben, trans- und inter-Personen (FLTI²) auf dem Wohnungsmarkt deutlich. Wenn etwa FLTI aufgrund von häuslicher beziehungsweise patriarchaler Gewalt ihre Wohnung verlassen müssen, bleibt oft nur der Weg in die Obdachlosigkeit. Auf der Suche nach einer neuen Unterkunft kommt es oft zu Zweckbeziehungen und äußerst prekären Lohnarbeitsverhältnissen. Neun von zehn wohnungslosen FLTI machen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt. In gemischten Schlafunterkünften für Wohnungslose kommt es ebenfalls zu sexualisierter Gewalt. Geschützte Räume für von Wohnungslosigkeit betroffene FLTI gibt es viel zu wenige und in Berlin ist die Hälfte der Einrichtungen mit Schutzräumen von der Schließung bedroht, weil der Vermieter den Vertrag gekündigt hat. Die hohen Mieten und die Vorbehalte von Vermieter*innen gegenüber obdachlosen Personen machen Neuanmietungen quasi unmöglich. Auch andere soziale Einrichtungen, wie Kitas oder Pflegeheime haben auf dem kapitalistischen Immobilienmarkt kaum eine Chance.

Die Konsequenzen tragen besonders FLTI, da dadurch Sorgearbeit individualisiert, aus dem hippen Kiez verdrängt und weiterhin an ihnen hängen bleibt.
Gesellschaftlich und körperlich eingeschränkte Menschen, Alleinerziehende und nicht-Weiße FLTI sind oft in mehrfacher Hinsicht von der gegenwärtigen Wohnungsnot betroffen: Anforderungen von Sorgearbeit, Zwänge der Lohnarbeit und unzureichende Unterstützung machen die Wohnungssuche für mehrfach diskriminierte Personen besonders schwer.

Mit unserer Besetzung des Weidenwegs 63 solidarisieren wir uns mir der Liebig34 als einem queer-feministischen Hausprojekt, welches versucht diesen Problemen zu begegnen. Wir wollen mit den von uns besetzten Räumen zu einer feministischen Gestaltung des Nordkiez beitragen.

Brutale Entmietung und die Verstrickung der Politik

Im Zuge des Ausverkaufs der Stadt wurden tausende Wohnungen und ganze Häuser an private Investor*innen verkauft, was zu einer massenhaften Verdrängung und Obdachlosigkeit geführt hat. Während die Politik von sozialer Wohnpolitik faselt, verlieren allein in Berlin jeden Tag die Anwohner*innen von 20 Wohnungen durch eine Zwangsräumung ihr Dach über dem Kopf. Die Verantwortung dafür tragen die städtische Politik und die privaten Eigentümer*innen. Die momentane Eigentümerin des von uns besetzten Weidenweg 63 und der Liebig34 ist die Unternehmensgruppe Padovicz.

Die Praktiken dieser Unternehmensgruppe sind eines von vielen Beispielen für besonders brutale Verdrängung. Unternehmensgruppen wie die CG, Deutsche Wohnen oder Akelius haben ähnliche Strategien. Zu diesen gehören Gewalt gegenüber Mieter*innen und Betrug gegenüber dem Bezirk. Es werden etwa vom Bezirk verkaufte Häuser mit öffentlichen Fördermitteln luxussaniert und damit gegen bauliche Auflagen verstoßen. Vom Bezirk wird dies mitgetragen und die Unternehmensgruppen müssen oft keine Konsequenzen fürchten.

Zu den Entmietungsmethoden gehört mitunter auch, bewohnte Häuser in Brand zu setzen, Gas- oder Wasserleitungen zu beschädigen, und im Winter Heizungen zu deinstallieren, um so die Bewohner*innen aus dem Haus zu zwingen. Wer dann nicht geht, wird auch schon mal von privaten Securities unter Anwendung von körperlicher Gewalt aus dem Wohnraum vertrieben.

Der Unternehmensgruppe Padovicz, die aus über 24 Firmen sowie sechs Hausverwaltungen besteht, gehören in Berlin mehrere Hundert oder Tausend Wohnungen und Häuser. Genaue Zahlen sind aufgrund des weit verzweigten Netzwerks schwierig zu benennen. Im Falle des Weidenwegs lief bis vor kurzem sogar ein Verfahren wegen Zweckentfremdung gegen Padovicz, welches bis heute allerdings keine Konsequenzen nach sich zieht.

Weitere Verstrickungen zwischen der Unternehmensgruppe Padovicz und der Politik sind personeller Art. So wurde der ehemalige Wirtschaftsstadtrat Tilo Tragsdorf später zum Geschäftsführer der Hausverwaltung Factor, welche Teil der Padovicz Unternehmensgruppe ist. Dies ist eins unzähliger Beispiele wie sich Immobilienunternehmen und Politiker*innen auf Kosten der Menschen, die Wohnraum brauchen gegenseitig bereichern.

Durch den Ausverkauf städtischen Wohnraums an auf Profit orientierte Unternehmensgruppen trägt die Stadt die Verantwortung für gegenwärtige Missstände und die menschenfeindlichen Praktiken der Verdrängung!

Stadt von Unten statt strukturelle Verdrängung

Neben aggressiven und gewaltvollen Formen der Verdrängung gibt es auch viele weniger sichtbare Formen struktureller Diskriminierung. Nicht nur Geld allein entscheidet darüber, wer etwa in ihrer*seiner Wohnung bleiben kann beziehungsweise eine neue findet. Auch Rassismus und Ableismus (Diskriminierung aufgrund einer körperlichen oder kognitiven Einschränkung) schließen Menschen systematisch vom Zugang zu Wohnraum aus. Oft werden Menschen mit nicht-deutsch klingenden Namen bei der Wohnungsvergabe gar nicht erst berücksichtigt. Auch Menschen mit Rollstühlen haben es häufig schwerer guten Wohnraum zu finden. Zwar werden im Rahmen von Sanierungen teilweise Fahrstühle in Häuser eingebaut, diese sind aber oft zu schmal für (E-)Rollstühle oder nicht ebenerdig zugänglich. Offensichtlich war es wichtiger, dass die Bewohner*innen der exklusiven Dachgeschosswohnung nicht die Treppe benutzen müssen, als tatsächlich barrierefrei für alle zu bauen. Wohnraumpolitik muss sich dagegen stellen und an den Bedürfnissen derer orientiert sein, die den Wohnraum brauchen! Neben diesen Formen von struktureller Verdrängung sind es auch die Verhältnisse, die diese Vorgänge erst möglich machen. In einem System, in dem Wohnen als Grundbedürfnis nicht anerkannt wird, sondern eine Ware ist, ist der Zugang zum benötigten Wohnraum davon abhängig ob Menschen sich die Miete leisten können. Bedürfnisse nach Schutzräumen für FLTI, nach barrierefreien Zugängen, nach antirassistischen, feministischen und kollektiv gestalteten Kiezen wiegen weniger als das Profitinteresse.

In diesem System können Unternehmensgruppen wie Padovicz erst so agieren wie sie es tun. Zu diesem System gehört auch ein Bezirk, der solchen Unternehmensgruppen Wohnraum verkauft und dann noch öffentliche Gelder anvertraut. Dazu gehört auch eine Stadt, die Räumungen durch die Polizei anordnet und die ganze Stadtteile zu sogenannten „Gefahrengebieten“ erklärt. Durch die Kriminalisierung von ganzen Kiezen werden Menschen verdrängt, etwa durch das von der Berliner Polizei praktizierte Racial Profiling.

Kämpfe für Wohnraum, für queer-feministische und antirassistische Kieze sind miteinander verbunden und stehen gemeinsam gegen strukturelle Gewalt und Verdrängung!

Weg mit der Berliner Linie – Für eine bedingungslose Entkriminalisierung von Hausbesetzungen

Hausbesetzungen sind eine legitime Antwort auf die gegenwärtigen Missstände. Wir wollen ein Ende der Kriminalisierung von Hausbesetzungen. Weg mit der Berliner Linie! Wir geben uns auch nicht mit dem Züricher Modell zufrieden. Dieses sieht vor, dass besetzte Wohnräume dann geräumt werden, wenn die Eigentümer*innen Nutzungspläne vorlegen können. Fehlende Nutzungspläne sind aber nicht das Problem. Die hohen Mieten, Luxussanierungen, der Ausverkauf städtischen Wohnraums und Verdrängung sind die Probleme. Daher kann das Züricher Modell keine Lösung für Berlin darstellen. Pläne zur Luxussanierung helfen der Mehrheit von uns nicht.

Für eine Stadt in der wir leben wollen, brauchen wir selbstverwaltete, bezahlbare Wohn- und Begegnungsräume. Wir wollen nicht weiter hinnehmen, dass Profitinteresse über dem Grundbedürfnis nach Wohnraum steht. Weder hier im Friedrichshainer Nordkiez, noch sonstwo!

Daher solidarisieren wir uns durch die heutige Besetzung des Weidenwegs mit der Liebig34 und fordern die bedingungslose Übergabe der Liebig34 an ihre Bewohner*innen.

¹cis bezeichnet, dass Personen sich mit dem ihnen bei der Geburt und in ihrem Alltag zugeschriebenen Geschlecht identifizieren.
²FLTI steht als Abkürzung für Frauen, Lesben, Inter- und Transpersonen. Die Abkürzung wird oft ergänzt von einem „*“. Wir schreiben die Abkürzung ohne „*“, da wir das „*“ z.B. in der Schreibweise „Frauen*“ als diskriminierend für trans-Frauen verstehen, da es impliziert, dass trans-Frauen bei der Schreibweise „Frauen“ ohne „*“ nicht gemeint wären.