Prozessbericht: Berli #1

Von der Verhandlung am 3.9.2020, wegen Hausfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in der ‚Berli‘


Der Raum ist rechteckig, die Einrichtung erinnert an eine kleine Schulaula, vielleicht aus den 90ern. An der eine Seite des Raums Fenster, sie sind offen, es ist offenbar warm. Von außen tönen die Rufe spielender Menschen. Aber es ist nicht der Schulhof, sondern der Gefängnishof.

In der Mitte ist der Raum zerteilt. Hinten sitzt das Publikum in Schachbrettmuster, außer zweier Menschen, die offenbar ‚dem gleichen Haushalt zugehörig sind‘. Vorne sind nur 4 Menschen, 2 sitzen rechts, einer links und einer an der Stirnseite des Raumes. Bei genauerem Hinsehen entdeckt man einen 5. Menschen, in der rechten Ecke, hinter Computerbildschirmen versteckt. Alle Schweigen.

1. Akt – der Vorwurf

Der Typ an der Stirnseite ist entspannt, fast jovial. Es könnte sein, er hätte uns zu seinem Yacht eingeladen. Er ergreift das Wort. ‚Verstehen sie Deutsch?‘

Der jungsche Typ rechts nickt. Der Yachtmeister fährt fort und legt in Beamtendeutsch den Vorwurf da. ‚Am Tattag hier sich der Angeschuldigte aufgrund einer gemeinsamen Verabredung mit mind. 12 anderen Personen (…murmelmurmel…) ohne Befugnis (…murmelmurmel…). Der Angeschuldigte widersetzte sich die Festnahme und ließ sich fallen (…murmelmurmel…). Der Angeschuldigte fiel auf den Arm des Zeugen POM Korn und biss diesen mit Verletzungsabsicht in dessen Linke Hand, wodurch der Zeuge trotz Handschuhen starke Schmerzen erlitt.‘

Jetzt ist der jungsche Typ dran. Er mag nicht Yacht fahren und wirkt teilnahmslos. Trotzdem liest auch er eine Erklärung vor. (Da das hier interaktives Theater ist, könnt ihr den schön selbst lesen! Link: …)

Jetzt spricht der Typ links. Er ist offensichtlich schon öfters Yacht gefahren, er wirkt gefasst. Er fragt: „Wenn die Polizei Sie verletzt hat, warum haben sie keine Gegenanzeige gestellt“. Der Teilnahmslose ihm gegenüber zuckt nur mit den Schultern. Für ihn ergreift der Vierte im Raum nun das Wort, man kennt ihn irgendwie, er ist Anwalt. „Davon rate ich immer ab, weil man sich damit schnell selbst verdächtigt. Der Polizei wird vor Gericht eher geglaubt.“. Der Mensch an der Stirnseite stimmt zu, sagt dass er davon auch aus eigener Erfahrung berichten könne. Der Typ links zieht die Augenbrauen hoch. Er wirkt etwas erstaunt über die Zustimmung. ‚Es gibt dazu auch Studien‘ sagt einer noch. Aber er wird schon nicht mehr gehört, auf dem Yacht kommt Plauder auf und ein neuer Sekt knallt.

2. Akt – Der Hauseigentümer

Im Nebenraum sagt eine Sprechanlage: ‚Zeuge Determann bitte hinein.‘ Hinein kommt ein Anzug, darin ein Anwalt, daran ein Aktenkoffer. Er nimmt in der Mitte des Raumes, zur Stirnseite schauend Platz. Als Zeuge berichtet er über den Tag (den 6.10.2018), es war Samstag und er habe Fußball in einer Kneipe geschaut, welches Spiel, sagt er nicht. Er sei per Anruf über die Neubesetzung informiert worden und habe die Kneipe verlassen…

Da unterbricht ihn die Person rechts in der Ecke, die sich jetzt erst bemerkbar macht. Das System sei abgestürzt. Die Yacht sinkt nicht, aber wir müssen warten. Erneut Plauder.

  • ‚Warum Stand das Haus leer?‘
  • ‚Der Mietvertrag für das Haus war ausgelaufen.‘
  • ‚Aber sie mussten die Bewohner des Hauses gewaltsam räumen.‘
  • ‚Die Mieterin verklagen mussten wir, und den Bezirk, den haben wir auch verklagt und gewonnen‘
  • ‚Aber die Bewohner sind nicht gegangen?‘
  • ‚Nein, die wurden vom Bezirk unterstützt. Sogar die Nebenkosten haben die bezahlt.‘
  • ‚Warum haben Sie trotzdem das Wasser abgestellt?`
  • ‚Weil es unrechtmäßig war.‘
  • ‚Könnte es sein, die Bewohner sind nicht gegangen, weil sie kein anderes Zuhause hatten?‘
  • ‚Ja.‘

3. Akt – Die Maßnahme

‚Zeuge Korn bitte eintreten‘. Hinein kommt ein großer sportlicher Mann, gebräunt. Er ist ein Jahr jünger als den Menschen, gegen den er aussagt.

‚Ich habe den Tatverdächtischen aufgefordert aufzustehen und mit mir mitzukommen. Im Haus hat der TV sich schon einmal fallen lassen. Ich habe ihm belehrt, den passiven Widerstand sein zu lassen. Der Gruppenführer Kollesche Müller ist mir da zur Hilfe gekommen. Im Treppenhaus habe ich den Tatverdächtischen dann mittels Festlegetechnik, ich glaube einem Kreuzfesselgriff fixiert. Kollege Müller hat linksseitig die Maßnahme gesichert, der BEDO Beamte hat die Maßnahme gefilmt. Der Tatverdächtische hat sich im Treppenhaus dann fallen gelassen. Ich bin mit zu Boden. Wissen Sie, ich hab ja auch eine Garantiefunktion. Ich muss es verantworten wenn jemand sich bei meiner Festnahme verletzt. Ich bin also auch für das Wohlergehen der festgenommenen Person zuständisch. Also bin ich mit zu Boden und habe da seinen Kopf mit meiner rechten Hand sanft auf den Boden fixiert. An meiner linken Hand habe ich einen Schmerz gespürt, es konnte nur einen Biss sein. Am nächsten Tag war ein blauer Fleck zu sehen. Auch hat mich die Festnahme körperlich belastet. Ich bin ja ein sportbegeisterter Menschen, wissen Sie. Ich hatte schon Probleme mit Heben. An mehr kann isch mir nicht erinnern.

4. Akt – Aktenverwaltung

Zeuge Müller hat auf den Zeugenstand Platz genommen, er hat gerade eine ähnliche Geschichte wie Kollege Korn erzählt. ‚ICH HABE DEN ZEUGENSCHAFTLICHEN NICHT MIT MEINEM KOLLEGEN ZUSAMMEN GESCHRIEBEN, UND ICH VERBITTE MICH DIE FRAGE!!‘

Nachdem alle sich vom Schreck erholt haben, entscheiden wir jetzt zusammen einen Film zu schauen. Leider gibt auf der Yacht keinen Beamer, also benutzen wir den Laptop vom Yachtmeister. Der Ton funktioniert nicht. Also schauen wir einen Stummfilm.

  • ‚Der Film hört ja genau vor dem von Ihnen beschriebene Vorfall auf! Können Sie das erklären?‘
  • ‚Ja, das ist bedauerlich. Zumal das ja auch Verdächtigungen aufbringen könnte.‘
  • ‚Haben Sie den BEDO-Beamten dazu angehalten, das Filmen einzustellen? Etwa mit einem Handsignal?‘
  • ‚Nein, der Videobeamte arbeitet da selbstständig‘.
  • ‚Aber sie wären weisungsbefugt?‘
  • ‚Ja‘

Gemeinsam stellen wir fest, das die Akte eine verloren geglaubte Hand enthält. Es ist die verletzte Hand von Kollege Korn. Leider ist das Bild extrem undeutlich, und das Bild trägt die Überschrift: unbekannte Hand.

Das Protokoll-System stürzt zum 3. Mal ab. Die Protokollantin seufzt, die anderen verfallen erneut in Plauder. Der Jungsche, der noch immer teilnahmslos rechts im Saal sitzt, schaut auf die drei dicken Aktenordner auf dem Tisch vom Staatsanwalt, dann auf den gleichen Stapel beim Yachtmeister und bei dem Anwalt neben sich. Er sagt zum Publikum ‚Es muss Keller und Keller voller Akten geben, die sie über uns führen. Das also, ist der Rechtsstaat.‘

5. Akt – Die Einstellung

Neues Bühnenbild. Zu sehen ist nur der Jungsche, er sitzt auf einem Hocker mitten im Raum.Der Saal ist abgedunkelt, auf der Wand an der Stirnseite läuft eine Projektion. Verschiedene Alltagsszenen verlaufen ineinander, im Ton im Hintergrund vermischen sich Gespräche, Seufzer und Lachen. Der Mensch auf dem Hocker telefoniert.

  • Ich habe mit dem Richter telefoniert. Er würde es einstellen gegen Geldauflage.‘
  • ‚Wieviel?‘
  • ‚500 Euro, an „einem stadtpolitischen Verein“ *Zensur!*
  • ‚Okay. Aber das ist irgendwie ein fauler Deal oder. Ich glaube, darauf habe ich keine Lust‘
  • ‚Also, der Richter glaubt dir, dass du den Polizisten nicht gebissen hast, aber für den Hausfriedensbruch wird er dich verurteilen.‘
  • ‚Hmm, okay. Und was kostet das?‘
  • ‚1000‘

Der junge Mann schweigt, er überlegt offensichtlich. Er richtet sich an die Stimmen im Hintergrund und schildert die Lage. ‚Es ist jetzt nicht, als gäbe es für diesen Prozess viel Aufmerksamkeit. Es ist ein bisschen egal‘, sagt eine Stimme, jetzt deutlich hörbar, aus dem Off. ‚Und 1000 Euro für den Staat oder 500 für einen guten Zweck sind ja 1500 Unterschied‘ stimmt der Mensch auf dem Hocker dann zögernd zu.

Er spricht jetzt wieder in den Hörer, sagt, dass er die Einstellung annimmt. Der Saal wird dunkel.

Epilog – Der Vorfall

Das Publikum will schon gehen, es gab weder Applaus noch Ablehnung, nur ein Vorhandensein. Das Licht im Saal leuchtet noch einmal schwach auf. Der Jungsche steht auf und richtet sich an das Publikum. ‚2 Jahre sind vergangen, zwischen dem Vorfall und der Einstellung. Es haben sich Menschen Sorgen gemacht und die Köpfe heiß geredet. Und das ist am Ende 500 Euro wert? Hätten diese Männer keine Anzeichen von Würde und Knüppel in der Hand, hätte ich sicher schon längst gesagt, dass sie mich bitte nicht mehr belästigen! Aber ich sage euch jetzt: das nächste Mal werde ich mich nicht zertrampeln lassen. Ich werde sagen: bitte belästigt mich nicht!‘


PS: Da ich einsehe, dass ein Theaterstück nicht der beste Weg ist, tatsächlich Infos rüber zu bringen, könnt ihr euch mit konkreten Fragen gern unter antirep@besetzen.org melden, z.B. zur Vorbereitung weiterer Prozessen.